Am 14. Januar 2018 fand eine Trauerzeremonie im Islamsichen
Zentrum Imam Ali in Wien anlässlich des Dahinscheidens von Ayatollah Haeri
Shirazi statt. An dieser Zeremonie nahmen Muslime verschiedener Nationen,
Geistliche und politische, kulturelle und wissenschaftliche Persönlichkeiten
teil.
Zu den Programmen dieser Zeremonie gehörte unter anderem
eine Koranrezitation, Videoclips über Ayatollah Haeri, Kondolenzbotschaften
einiger Persönlichkeiten, Reden von kulturellen Persönlichkeiten und auch von Vertretern Islamischer Zentren Europas – unter anderem
auch Ayatollah Ramezani, Imam und Leiter des Islamischen Zentrum Hamburgs,
Hudschatulislam Dr. Mohsenzadeh, Imam und Leiter des Islamischen Zentrums Wien
und Herrn Mag. Muhammad Lanzl, Leiter des Privaten Schulcampus Avicenna.

In seiner Rede auf dieser Zeremonie kondolierte Ayatollah
Ramezani den Teilnehmern dieser Zeremonie und insbesondere dem Sohn von Ayatollah
Haeri, Herrn Hudschatulislam Nezamoddin Haeri Shirazi, dankte den Anwesenden,
wies auf die geistige Rechtleitung der Menschen hin und fügte hinzu: Gott hat
keine Leitung übernommen, außer der Rechtleitung des Menschen. Damit ist nicht
die Schöpfungsgeschichte allein gemeint, denn alle Lebewesen genießen diese
Leitung. Gemeint ist die Rechtleitung durch Überlieferungen, wobei der Weg zur
Glückseligkeit erläutert wird. Gott sagt im Koran: „Wir haben ja Unsere
Gesandten mit den klaren Beweisen gesandt und mit ihnen die Schrift und die
Waage herabkommen lassen, damit die Menschen für Gerechtigkeit eintreten.“
Und „Wir haben ja ein Buch zu euch hinabgesandt, in dem eure Ehre liegt.
Begreift ihr denn nicht?“
Dieser Punkt ist von enormer Wichtigkeit, dass Gott zur
Rechtleitung sowohl Propheten entsandt hat, als auch Schriften, und auch dem
Menschen Verstand gegeben hat, damit es ein innerer Beweis wird. „Verstand ist
der Gesandte Gottes“.
Es gibt viele Koranverse, die sich auf den Verstand beziehen. Aus diesem Grund
hat auch „Kulleini“ das erste Thema seines Buches dem „Verstand und
Unwissenheit“ gewidmet. Der Verstand leitet den Menschen zur Offenbarung, damit
er den Weg zur Glückseligkeit richtig deutet.
Offenbarungen sind göttliche Verordnungen und
Traditionen, die von Gott für die Menschheit hinabgesandt worden sind. Gott
entsandte in seiner Güte Propheten für die Menschen, damit sie auf den rechten
Weg geleitet werden. „Allah hat den Gläubigen wirklich eine Wohltat erwiesen,
als Er unter ihnen einen Gesandten von ihnen selbst geschickt hat, der ihnen
Seine Zeichen verliest, und sie läutert und sie das Buch und die Weisheit
lehrt, obgleich sie sich zuvor wahrlich in deutlichem Irrtum befanden.“
Die Propheten sind im eigentlichen Sinne, die Medien
zwischen Gott und der Menschen. Das arabische Wort „Nabi“
kommt entweder von „Naba“,
was so viel bedeutet, wie jemand, der das Wort Gottes erhalten hat, und es den
Menschen weitergibt „Und dem Gesandten obliegt nur die deutliche Übermittlung (der
Botschaft).“, oder
von „Nabavah“ was Erhabenheit und Größe bedeutet. Die Propheten Gottes sind
erhabene Menschen, die Gott zur Rechtleitung der Menschen auserwählt hat. Nach
den Propheten sind es die Gelehrten, die wahrhaft selbstlosen, die das Wissen
und die Spiritualität besitzen, und diese Aufgabe übernehmen. Gott sagt. „Und
so haben Wir euch zu einer Gemeinschaft der Mitte gemacht, damit ihr Zeugen
über die (anderen) Menschen seiet“.
Viele Gelehrte sind der Meinung, dass mit „Mitte“ die gemäßigten Menschen sind,
die nicht über- und untertreiben. Dies trifft ganz genau auf die islamische
Gemeinschaft zu – eine gemäßigte Gemeinschaft, die fern von Über- und
Untertreibungen ist.

Doch Allameh Tabatabei scheint darauf hinzudeuten, dass
dieser Koranvers auf etwas Anderes hinweist. Nämlich darauf, dass die Gelehrten
eine Vermittlerrolle spielen. Sie sind der Vermittler zwischen dem Propheten
und den Menschen (gegrüßet sei er) – genauso wie der Prophet ein Vermittler
zwischen Gott und dem Volk ist. Nach dem Propheten übernehmen die Unfehlbaren
aus dem Hause des Propheten (gegrüßet seien sie) diese Rolle, und danach sind
es die Gelehrten. Sie sind die Vorbilder. So weist „Euch“ auf diejenigen hin,
die dafür bestimmt sind, um für die Menschen in dem Vers „damit ihr Zeugen über
die (anderen) Menschen seiet“ ein Vorbild sind – genauso, wie der Prophet
(gegrüßet sei er) ein Vorbild für die Menschen war „und damit der Gesandte über
euch Zeuge sei.“
Zweifellos sind die wissenschaftliche Größe und die Tiefe
in der Religion einer der Eigenschaften der Gelehrten. Eine weitere Eigenschaft
ist deren spirituelle Größe. Sie müssen sich ihrer Natur und Potentiale bewusst
sein und eine hohe Spiritualität besitzen. So eine Spiritualität zeigt sich im
Kontakt mit Gott. Je größer die Nähe zu Gott ist, desto größer ist die Wirkung auf
die Herzen der Menschen, die empfangsbereit sind.
Ein weiterer Punkt, den wir beachten müssen, ist, dass
eine Gesellschaft aus der Sicht der Religion erstrebenswert ist, in der Wissen
und Spiritualität eine gehobene Stellung haben. So gesehen gehört zu den
Eigenschaften einer islamischen Gesellschaft Verstand, Wissen, und
Spiritualität. Überlieferungen besagen, dass der Mensch entweder Wissenschaftler,
oder wissenssuchend sein muss. „Sei ein Gelehrter oder Schüler und nicht ein dritter
Außenstehender“ in
einer weiteren Überlieferung wird auch Wissensliebender hinzugefügt „Sei ein
Gelehrter, ein Wissensliebender oder Schüler und nicht ein dritter
Außenstehender.“
Unwissenheit erlaubt den Einzug des Bösen in die Gesellschaft und führt zu
Spaltung, Streit und Krieg. Imam Ali sagt: „Unwissenheit ist die Grundlage
alles Bösen“ und
an einer anderen Stelle: „Volksfeinde sind ignorant“

Der Vorsitzende der schiitischen Gelehrten und
Geistlichen Europas bezeichnete an einer anderen Stelle seiner Rede Ayatollah
Haeri Shirazi als einen himmlischen Gelehrten, islamischen Menschenkenner und
opferbereiten Menschen und sagte: Ayatollah Haeri Shirazi besaß wahrhaftig
Wissen und Spiritualität. Er war ein himmlischer Gelehrter und lebte einfach
und fern von Luxus. Er war ein Denker und Forscher, genauso wie der geehrte
religiöse Leiter in seiner Kondolenzbotschaft ihn einen Weisen genannt hat. Er
war ein Vorreiter der zinslosen Wirtschaft, und bestand darauf, dass das
Kriterium für Wirtschaft und Finanzen Gold und Silber sein sollte.
Ayatollah Haeri Shirazi war ein Menschenkenner nach
religiösen Grundlagen und hat diesbezüglich auch ein Buch herausgebracht, was
sehr lehrreich ist. Er beschäftigte sich intensiv mit den Geisteswissenschaften
und sagte: Geisteswissenschaften sind wie die Enge von dem Platz „Uhud“. Wenn
sie richtig verstanden werden, lösen sie viele Probleme über ein richtiges
Verständnis des menschlichen Lebens. Er war der Ansicht, dass, wenn man sich vom
göttlichen Geist distanziere, automatisch in die irdische Natur versinke und
dann ausschließlich materialistischem Denken verfalle.
Ich bin der Ansicht, wenn wir in der theologischen Schule
10 Experten für Geisteswissenschaften aufzählen sollten, wäre zweifellos einer
von ihnen Ayatollah Haeri. Er war im wahrsten Sinne des Wortes unermüdlich und
hat sich sowohl persönlich sehr stark entwickelt also auch in
gesellschaftlichen Belangen stark angestrengt. Vor der Revolution wurde er
aufgrund seines Widerstands zum diktatorischen System des damaligen Schahs für
drei Jahre in eine Stadt im Norden namens Fouman verbannt.

Er erkannte mit einem Blick Schwächen in der Gesellschaft
und lehrte seinen Schülern auch religiöses Management. Er war ein
verantwortungsbewusster Gelehrter und agierte überall so, wie es sein
Verantwortungsbewusstsein für richtig hielt – ohne den persönlichen Vorteil in
Betracht zu ziehen. Er war ein religiöser Politiker, doch stand für ihn die
Religion an erster Stelle und nicht umgekehrt. Er war für die Gesellschaft und
seine Zukunft ein mitfühlender Lehrer. Er verband Wissen mit Taten und war
somit ein Geistlicher der Tat und er trug viel von den Weisheiten des Korans in
sich. Er ließ nicht zu, dass seine inneren Neigungen sein Leben bestimmen. Bei
der Verteidigung der Masterarbeit seines Sohnes, wo er Koreferent, und ich Referent
war, sagte er bei der Benotung, was eigentlich eine ganz einfache Angelegenheit
ist, dass er keine Bewertung abgeben werde. Wir mussten ihn förmlich dazu
zwingen, den Bewertungsbogen zu unterzeichnen und zu bewerten, da er
befürchtete, dass der Stolz auf seinen Sohn seine Bewertung beeinflussen könnte.
Er war informiert über die Probleme und Herausforderungen
der modernen Zeit und bemühte sich Versuchungen zu widerstehen. In einer
Überlieferung wird gesagt: „Ein Gelehrter seiner Zeit wird nicht von
Versuchungen überrannt“.
Zweifellos wird das Dahinscheiden dieses himmlischen Gelehrten eine Leere in
der islamischen Welt hinterlassen, die nicht so leicht ausgefüllt werden kann.
„Wenn ein gläubiger Gelehrte stirbt, hinterlässt er eine Leere in der
islamischen Welt, die mit nichts auszufüllen ist.“
Wir bitten Gott, dass er ihn, der sowohl im Leben, als
auch beim Ableben erhaben war, mit den Unfehlbaren aus dem Hause des Propheten (gegrüßet
seien sie) auferstehen zu lassen. „Er lebte ehrenvoll und starb ehrenvoll“